Entschädigungen für den Lockdown?

RAin Natalie Köhler

(30. April 2020)

Die von der Bundes- oder den Landesregierungen erlassenen Gesetze und Verordnungen, die Allgemeinverfügungen von Gemeinden und Kreisen und andere Anordnungen schränken jede und jeden von uns ein. Jedoch sind gerade Sie als Ärzte davon in starkem Maß betroffen, da es in der Natur Ihres Berufs liegt, dass Sie zur Untersuchung oder Behandlung Ihrer Patienten diesen meist sehr nahe kommen müssen. Die Einhaltung eines Mindestabstands ist in der Regel kaum möglich. Dazu kommt, dass es eines gewissen organisatorischen Aufwands bedarf, damit sich nicht zu viele Personen in den Räumlichkeiten aufhalten. Dass nicht überall genügend Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt werden kann, trägt nicht gerade zu einer Verbesserung der Situation bei. Telefonische Diagnostik oder eine Beratung per Videoanruf sind längst nicht in allen Fällen möglich. 

Bei vielen Ärzten führt dies zu einem erheblichen Einbruch der Patientenzahlen. Gerade Patienten, die keine akuten Schmerzen haben, bleiben bspw. Vorsorgeuntersuchungen und elektiven Behandlungen und Operationen fern. Einige Ärztegruppen, wie zum Beispiel Zahnärzte, dürfen nur noch Notfälle behandeln. Für andere Berufsgruppen, wie Friseure oder Betreiber von Fitnessstudios, ist die Situation noch verheerender. Dass damit hohe finanzielle Einbußen einhergehen, liegt auf der Hand.

Daher stellt sich die Frage, ob aufgrund der angeordneten Maßnahmen Anspruch auf eine Entschädigung besteht.

Solche Entschädigungsansprüche sind denkbar. Ob sie am Ende auch erfolgreich durchgesetzt werden können, wird allerdings die Rechtsprechung in den nächsten Jahren beschäftigen.

Angesichts verschiedener Entscheidungen im Eilrechtsschutz, die bereits die Rechtmäßigkeit verschiedener Maßnahmen bezweifeln, stellt sich zunächst die Frage, welche Ansprüche bestehen, wenn sich die Maßnahmen als rechtswidrig herausstellen.

In diesem Fall kommt ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff infrage. 

Dieser setzt voraus, dass eine Eigentumsposition im Sinne des Art. 14 GG durch Nebenfolgen eines rechtmäßigen hoheitlichen Handelns beeinträchtigt wird, indem dem Betroffenen ein Sonderopfer auferlegt wird. Das Sonderopfer wird durch die Rechtswidrigkeit des staatlichen Handelns indiziert.

Finanzielle Einbußen werden dabei nicht unmittelbar von Art. 14 GG geschützt. Möglich ist aber eine Beeinträchtigung des sogenannten Rechtes am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Verbietet staatliches Handeln die Ausübung des Gewerbes bzw. den Betrieb des Unternehmens, stellt dies naturgemäß eine sehr starke Beeinträchtigung dieses Rechtes dar.

Ob dieses Recht aber von Art. 14 GG umfasst ist, ist umstritten. Sofern es um die Substanz geht, wird die Anwendbarkeit des Art. 14 GG überwiegend bejaht. Die Substanz eines Betriebs ist berührt, wenn der Eingriff den Eigentümer daran hindert, von seinem Betrieb als Organisation sachlicher und persönlicher Mittel bestimmungsgemäß Gebrauch zu machen. Wird dagegen eher in die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit eingegriffen, so ist nicht Art. 14 GG betroffen, sondern eher Art. 12 GG, der jedoch für eine Entschädigung wegen eines enteignenden Eingriffs nicht relevant ist. Es wird also regelmäßig darauf ankommen, ob das „Ob“ oder das „Wie“ der Betätigung betroffen ist. Wird ein Betrieb geschlossen, stellt dies einen Eingriff in das Eigentum des Betreibers dar. Wenn lediglich Anordnungen bezüglich der konkreten Ausgestaltung der Betätigung ergehen, bspw. das Wahren eines Mindestabstandes oder die Nutzung einer bestimmten Schutzausrüstung während der Tätigkeit, ist der Betreiber nicht zwingend daran gehindert, von seinem Betrieb Gebrauch zu machen. Wirken sich die Anordnungen jedoch dergestalt aus, dass der Betrieb sogar in seinem ungestörten Funktionieren, also in seinem „Ob“ berührt ist, könnte der Schutzbereich des Art. 14 GG im Einzelfall betroffen sein. 

Diesbezüglich war auch vor Corona in der Rechtsprechung vieles unklar und umstritten. Je nach konkretem Grad der Auswirkung der Maßnahmen auf den konkreten Betrieb ist ein Anspruch jedenfalls mit guten Argumenten vertretbar.

Im Falle der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen fällt zunächst § 56 Absatz 1 IfSG als Anspruchsgrundlage auf. Gemäß § 56 Absatz 1 IfSG erhält eine Entschädigung in Geld, wer als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Der Anspruch setzt also ein Tätigkeitsverbot voraus, das rechtmäßig angeordnet worden sein muss. Dafür kommt hier nur ein solches nach § 31 IfSG infrage. Diese Norm gibt der zuständigen Behörde die Befugnis, Kranken und ähnlichen Personengruppen die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten ganz oder teilweise zu versagen. 

Die Schutzmaßnahmen führen dazu, dass bestimmte Branchen, z.B. Friseure, Fitnessstudios und anfangs auch teilweise der Einzelhandel, ihren Betrieb komplett einstellen oder einschränken mussten. Auch Arztpraxen haben Anordnungen zu beachten, in welcher Art und Weise zwischenmenschlicher Kontakt zu gestalten ist, die in manchen Corona-Verordnungen auch ausdrücklich auf § 31 IfSG gestützt.

§ 56 IfSG erscheint daher anwendbar.

Steht im Streit, ob die Maßnahmen auf § 31 IfSG gestützt wurden, besteht zugleich die Möglichkeit, dass § 56 IfSG als Anspruchsgrundlage wegfällt. Streitig ist dann, ob der Gesetzgeber tatsächlich finanzielle Einbußen bei Geboten und Verboten entschädigungslos stellen wollte – ob also eine unbeabsichtigte Gesetzeslücke besteht – oder ob absichtlich kein Entschädigungsanspruch normiert wurde.

Bei dem IfSG handelt es sich um spezielles Gefahrenabwehrrecht, das somit dem Polizeirecht zuzuordnen ist. Deswegen ist – je nach Bundesland – ein Entschädigungsanspruch nach dem allgemeinen Polizeirecht denkbar, was auch die genannte unbeabsichtigte Gesetzeslücke ausschließen würde. In Baden-Württemberg bspw. kann derjenige, der als unbeteiligte Person von der Polizei in Anspruch genommen wurde, eine angemessene Entschädigung für den ihm durch die Maßnahme entstandenen Schaden verlangen (§ 55 Absatz 1 PolG BW). Bei dieser unbeteiligten Person geht weder von ihr noch vom Zustand einer Sache eine Gefahr aus, die ihr gehört oder über die sie die tatsächliche Gewalt hat. 

Hierbei ist problematisch, dass ein Arzt, der eine Praxis betreibt, oder ein anderer Gewerbetreibender, wie bspw. ein Friseur, durch die Öffnung des Betriebes andere dazu veranlasst, die Räumlichkeiten aufzusuchen. Daher könnte der Betreiber auch als sogenannter Zweckveranlasser und damit als mittelbarer Störer anzusehen sein, was zur Folge hat, dass er als nicht unbeteiligte Person keinen Anspruch auf Entschädigung nach allgemeinpolizeirechtlichen Vorschriften hat. Dazu müsste der Unternehmer aber gerade ein polizeirechtswidriges Verhalten in Kauf genommen haben – was übertragen auf das Infektionsschutzrecht die Ansteckung von Personen meinen dürfte. Beim Ergreifen entsprechender Schutzmaßnahmen, wie sie insbesondere in Arzt- und Zahnarztpraxen ergriffen wurden, scheidet dies wohl aus.

Auch ein Entschädigungsanspruch nach dem allgemeinen Polizeirecht ist daher denkbar.

Des Weiteren wird in der Literatur derzeit der allgemeine Aufopferungsanspruch diskutiert, der seine Grundlage im Gewohnheitsrecht findet. Sein Zweck besteht darin, den einzelnen Bürger für eine gemeinwohlbezogene Aufopferung, die unmittelbar auf einem hoheitlichen Eingriff in immaterielle Rechte beruht, in Geld zu entschädigen.

Dabei ist umstritten, ob es sich um einen Eingriff in ein nach Art. 2 Absatz 2 GG geschütztes Recht handeln muss, also in das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit. Während die Literatur fordert, den Anspruch auch auf Eingriffe in weitere Rechte wie die Berufsfreiheit, die vorliegend betroffen wäre, auszuweiten, wird dies von der Rechtsprechung abgelehnt.

Dass die Rechtsprechung ausgerechnet im Zusammenhang mit Corona die Voraussetzungen für den aus dem alten preußischen Landrecht stammenden und damit über 225 Jahre alten Anspruch modifizieren wird, ist unwahrscheinlich.

Vielversprechender sind die Erfolgsaussichten bei einem Anspruch aus enteignendem Eingriff. Dieser setzt voraus, dass eine Eigentumsposition im Sinne des Art. 14 GG durch Nebenfolgen eines rechtmäßigen hoheitlichen Handelns beeinträchtigt wird, indem dem Betroffenen ein Sonderopfer auferlegt wird.

Ob eine Eigentumsposition im Sinne des Art. 14 GG betroffen ist, ist wie oben dargelegt streitig, aber nicht von vorneherein zu verneinen.

Erforderlich ist darüber hinaus ein Sonderopfer. Dies bedeutet, dass der Anspruchsinhaber im Vergleich zu anderen Bürgern ungleich stark belastet ist und sich dadurch von diesen abhebt. Hierbei kann sowohl auf den Eingriff selbst als auch auf seine Auswirkungen abgestellt werden. Ärzte dürften von den Schutzmaßnahmen besonders betroffen sein. Auch hier kann das Argument angeführt werden, dass sie im Gegensatz zu anderen Betrieben ihre Leistungen in der Regel nicht in anderer Form erbringen können. Eine Buchhandlung kann die von ihrem Kunden bestellten Bücher verschicken oder ihm diese vor die Haustür legen. Auch die Gastronomie ist in großen Teilen dazu übergegangen, Speisen auszuliefern. Einem Arzt ist dies nicht möglich. Auch einem Friseur ist es versagt, seine Dienstleistungen außerhalb seines Friseursalons anzubieten. Daher kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass Ärzte und auch andere Berufsgruppen durch die Schutzmaßnahmen stärker belastet sind als andere Bürger. Vor Gericht wäre daher vor allem die Bildung der Vergleichsgruppe relevant, also im Vergleich zu wem der Betroffene außergewöhnlich stark belastet sein muss.

Da die anderen Voraussetzungen regelmäßig erfüllt sein dürften, ist dieser Anspruch durchaus denkbar. 

Fazit: Während ein Anspruch aus Aufopferung eher ausscheidet, scheint ein Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG, aus allgemeinem Polizeirecht oder aus enteignendem bzw. enteignungsgleichem Eingriff durchaus möglich. Auch wenn jeweils die Voraussetzungen auf den ersten Blick nicht direkt erfüllt zu sein scheinen, bieten die Ansprüche Anhaltspunkte für eine Entschädigung. Zu beachten ist auch, dass die aktuelle Situation einige neue und nicht eindeutig zu beantwortende Rechtsfragen mit sich bringt, die erst in der Zukunft durch Gerichte geklärt werden können.