Von Dr. Florian Wolf (Dezember 2016)
Der Ausgangsfall
Im März 2015 hatten wir über das Urteil des Bundesgerichtshof (BGH) vom 12.02.2015 (1 ZR 213/13) berichtet, wonach das Angebot eines kostenlosen Fahrdienstes einer Augenklinik für Patienten grundsätzlich gegen das heilmittelrechtliche Verbot von Werbeabgaben verstoße.
Der BGH hatte ein Berufungsurteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln aufgehoben, da das Angebot eines kostenlosen Fahrdienstes eine auf konkrete Leistungen bezogene Werbung darstelle, die dem in § 7 Abs. 1 S. 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG) geregelten Verbot von Werbeabgaben unterfalle. Es bestehe die Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung des Verbrauchers, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich Patienten nicht im Hinblick auf die Qualität der ärztlichen Leistung, sondern wegen des angebotenen Fahrdienstes für eine Behandlung durch diese Augenklinik entschieden.
Offen gelassen hatte der BGH aber, ob der Fahrdienst eine zulässige handelsübliche Nebenleistung darstellen könne. Das sei der Fall, wenn es sich um eine geringwertige Kleinigkeit handeln würde. Die Wertgrenze dafür liege allerdings bei wenigen Euro. Die weitere Ausnahmeregelung, nach der die Erstattung von Fahrtkosten des öffentlichen Nahverkehrs zulässig ist, scheide aus, weil es sich bei dem angebotenen Fahrdienst gerade nicht um eine Fahrkostenerstattung handele.
Die neue Entscheidung des OLG Köln
Auf Basis dieser Vorgaben hat das OLG Köln nun unter dem Aktenzeichen 6 U 91/13 den Fall mit Urteil vom 29.04.2016 neu entschieden und die Berufung zurückgewiesen.
Entscheidend für die Zurückweisung der Berufung war, dass es sich bei dem Angebot des Fahrdienstes gerade nicht um eine „handelsübliche“ Leistung handele. Zwar könnten neue Erscheinungsformen schon dann als handelsüblich angesehen werden, wenn sie sich nach den Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise im Rahmen vernünftiger Gepflogenheiten hielten. Diese Verkehrskreise dürften die Leistung aber nicht als Besonderheit ansehen. Sie müsse vielmehr den Leistungen der Verkehrskreise entsprechen. Eine Leistung, die von dem Werbenden gerade als Besonderheit seines Angebots herausgestellt werde, könne daher nicht als handelsüblich angesehen werden.
Auf Basis dieser Grundsätze konnte sich das OLG Köln nicht davon überzeugen, dass ein Fahrdienst zur Operation und zurück nach Hause eine Leistung ist, die die angesprochenen Verkehrskreise erwarten. Hinzukam in diesem Fall, dass der Fahrdienst gerade als „besonderer Service“ angeboten wurde.
Dazu kommt nach Ansicht des OLG Köln, dass der kostenlose Fahrdienst gerade nicht mit der Erstattung von Fahrtkosten für Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs vergleichbar ist. Für den Patienten stelle sich das Angebot der Augenklinik nämlich gerade nicht als Erstattung der Kosten für die Fahrkarte des Busses oder Straßenbahn dar, sondern als Ersparnis der Kosten einer individuellen Taxifahrt. Damit übersteige der Wert des Fahrdienstes aber den Wert der Fahrkostenerstattung für Fahrkarten des öffentlichen Personennahverkehrs deutlich.
Die rechtlichen Folgerungen
Die Entscheidungen des BGH und des OLG Köln können jedoch nicht pauschal auf andere Konstellationen übertragen werden.
Zu beachten ist nämlich zunächst, dass Ärzte im Gegensatz zu Krankenhäusern nicht automatisch und in jedem Fall den Vorschriften des HWG unterliegen. Denn gegenüber Ärzten gilt grundsätzlich der Vorrang der Berufsordnung. So hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass gegenüber der Anwendung des HWG nur dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, wenn dem HWG im Bereich des Werberechts der Ärzte keine eigenständige Bedeutung beigemessen wird, sondern es im Rahmen der einschlägigen Vorschrift (meist § 27 BO) angewandt wird. Die grundsätzlich einschlägigen Vorschriften des § 7 HWG wären dann mit Blick auf das geltende Standesrecht einschränkend auszulegen.
Hinzukommt, dass sich weder der BGH noch das OLG Köln nicht mit der Problematik auseinandergesetzt haben, dass zumindest für gesetzlich krankenversicherte Patienten im Regelfall überhaupt keine Fahrtkosten anfallen, die von diesen getragen werden müssten. Nach den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten (Krankentransportrichtlinien) ist die Verordnung einer Krankenfahrt mit einem Taxi bei ambulanten Operationen gemäß § 115 b SGB V im Krankenhaus oder in der Vertragsarztpraxis zulässig, soweit der Versicherte öffentliche Verkehrsmittel oder ein privates Kraftfahrzeug nicht benutzen kann – was bei einer Augen-OP auf der Hand liegt.
Für den Patienten bedeutet die Übernahme von Fahrkosten oder die Einrichtung eines Fahrtdienstes daher nicht unbedingt eine monetäre Einsparung, sondern allenfalls ein Plus an Bequemlichkeit, wenn dadurch ein gegebenenfalls unangenehmer Sammeltransport im Sammeltaxi vermieden werden kann.
Dies hat auch Einfluss auf die Frage, inwieweit die angesprochenen Verkehrskreise einen Fahrdienst erwarten. Denn hätte die Krankenkasse auch die Kosten eines Taxis zu erstatten, wird dadurch eine Erwartungshaltung des Patienten begründet, die auch auf den behandelnden Arzt durchschlagen kann: Ob dieser nun durch die Verordnung einer Krankenfahrt oder durch einen eigenen Fahrdienst den Transport des Patienten zur Operation und zurück nach Hause organisiert, ist aus Sicht des Patienten gleichgültig.
Entsprechend ist auch die Ermittlung des Verkehrswertes durch das OLG Köln zu hinterfragen: Muss die Krankenkasse nämlich die Fahrtkosten ohnehin erstatten, gibt es für den Patienten keine Ersparnis eigener Kosten und somit keinen Verkehrswert, der zum Vergleich herangezogen werden könnte.
Trotz der Entscheidungen des BGH und des OLG Köln erscheint die Einrichtung eines kostenlosen Fahrdienstes daher nicht in jedem Fall als rechtswidrig. Das Angebot wird aufgrund der restriktiven Rechtsprechung jedoch im Einzelfall sorgfältig zu prüfen und gegebenenfalls auch auf einzelne Indikationen oder Patientengruppen zuzuschneiden sein.
Nicht verschwiegen werden darf an dieser Stelle, dass eine Entscheidung des Landgerichts (LG) Hannover im einstweiligen Rechtschutz vorliegt, welches im Fall einer Dialysepraxis entschieden hatte, dass das Angebot eines kostenlosen Fahrdienstes gegen § 7 HWG verstoße. Eine genauere Begründung hierzu findet sich in der Entscheidung allerdings nicht.