BGH zu Anforderungen an Patientenverfügungen bei lebenserhaltenden Maßnahmen

Von Dr. Florian Wolf (September 2016)

Der Bundesgerichtshof hat mit Entscheidung vom 06.07.2016 (Aktenzeichen XII ZB 61/16) die Anforderungen konkretisiert, die Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen erfüllen müssen, wenn der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen in Frage kommt.

Der Fall:

Die betroffene Patientin war Ende 2011 mit einem Hirnschlag ins Krankenhaus eingewiesen worden, wo eine Magensonde gelegt wurde, über die sie seitdem mit Nahrung und Medikamenten versorgt wird. Im Frühjahr 2013 verlor sie aufgrund einer Phase epileptischer Anfälle die Fähigkeit zur verbalen Kommunikation.

Bereits 2003 und 2011 hatte sie zwei identische „Patientenverfügungen“ niedergelegt. In diesen war verfügt:

„Für den Fall, daß ich (…) aufgrund von Bewußtlosigkeit oder Bewußtseinstrübung (…) nicht mehr in der Lage bin, meinen Willen zu äußern, verfüge ich:

Solange eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträglichen Lebens besteht, erwarte ich ärztlichen und pflegerischen Beistand unter Ausschöpfung der angemessenen Möglichkeiten.

Dagegen wünsche ich, daß lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist,

  • daß ich mich unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozeß befinde, bei dem jede lebenserhaltende Therapie das Sterben oder Leiden ohne Aussicht auf Besserung verlängern würde, oder
  • daß keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewußtseins besteht, oder
  • daß aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt, oder
  • daß es zu einem nicht behandelbaren, dauernden Ausfall lebenswichtiger Funktionen meines Körpers kommt.

Behandlung und Pflege sollen in diesen Fällen auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Ich möchte in Würde und Frieden sterben können, nach Möglichkeit in meiner vertrauten Umgebung. „

Angehängt war eine Vorsorgevollmacht zugunsten einer ihrer drei Töchter, die u.a. folgenden Inhalt hatte:

Die Vollmacht berechtigt auch zur Vertretung in Fragen der medizinischen Versorgung und Behandlung (…).

Die Vollmacht enthält die Befugnis über den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen zu entscheiden. Im Falle einer zum Tode führenden Erkrankung legen wir keinen Wert auf lebensverlängernde Maßnahmen, wenn feststeht, dass eine Besserung des Zustandes nicht erwartet werden kann. Die Vollmachtgeber wünschen eine angemessene und insbesondere schmerzlindernde Behandlung, nicht jedoch die künstliche Lebensverlängerung durch Gerätschaften. Die Schmerzlinderung hat nach Vorstellung der Vollmachtgeber Vorrang vor denkbarer Lebensverkürzung, welche bei der Gabe wirksamer Medikamente nicht ausgeschlossen werden kann.“

Während die bevollmächtigte Tochter und die Hausärztin der Meinung waren, dass ein Abbruch der künstlichen Ernährung nicht dem Willen der Mutter entspreche, vertraten die beiden anderen Töchter die gegenteilige Meinung.

Die Entscheidung:

Der BGH hatte über den Beschluss des Landgerichts Mosbach zu entscheiden, welches die Vollmacht der Tochter außer Kraft gesetzt und eine der anderen Töchter als Kontrollbetreuerin eingesetzt hatte.

Das LG Mosbach hatte festgestellt, dass ein irreversibler Dauerschaden am Gehirn der Patientin eingetreten sei, so dass es die Pflicht der Bevollmächtigten gewesen wäre, die lebensverlängernden Maßnahmen – die Ernährung über die Magensonde – abzubrechen. In der Patientenverfügung sei festgelegt, dass die Behandlung und Pflege nur noch auf die Linderung von Schmerzen, Angst und Unruhe gerichtet sein solle.

Der BGH hob die vom LG Mosbach angeordnete Kontrollbetreuung auf.

Der BGH führt aus, dass die Fortsetzung lebenserhaltender Maßnahmen keine schriftliche Vollmacht gem. § 1904 Abs. 5 BGB voraussetze. Diese sei nur erforderlich, wenn durch die Maßnahme die Gefahr des Todes oder schwerer oder dauernder Gesundheitsschäden drohe. Bei lebenserhaltenden Maßnahmen ist das offensichtlich nicht der Fall.

Sofern eine Betreuungsvollmacht die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen gestatten soll, muss diese nach Ansicht des BGH aber gewissen Anforderungen genügen, da dem Vollmachtgeber schon bei der Formulierung der Vollmacht die Tragweite seines Entschlusses vor Augen geführt werden soll.

Die Vollmacht müsse daher an § 1904 BGB angelehnt sein. Der Verweis auf die gesetzlichen Bestimmungen sei jedoch nicht ausreichend. Vielmehr müssten die entsprechenden Maßnahmen ausdrücklich benannt werden. Der Vollmachttext müsse also hinreichend klar umschreiben, dass sich die Entscheidungskompetenz auf die im Gesetz genannten Maßnahmen beziehe und darauf, diese zu unterlassen oder eben vornehmen zu lassen.

Aus der Vollmacht müsse sich auch ergeben, dass die Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann.

Die notarielle Vollmacht genügte im vorliegenden Fall dem BGH. Sie enthalte zweifelsfrei die Entscheidungsbefugnis im Bereich der Gesundheitsfürsorge einschließlich der Einwilligung in ärztliche Eingriffe sowie deren Verweigerung und auch deren Rücknahme. Außerdem sei in der Vollmacht ausdrücklich die Gefahr des Todes erwähnt und damit deutlich genug bezeichnet.

Patientenverfügungen wiederum müssten den Anforderungen des § 1901 a BGB genügen.

Danach muss der Patientenverfügung eine konkrete Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolle Sterben zu ermöglichen, seien nicht ausreichend.

Der Betroffene muss mithin umschreibend festlegen, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Die eigene Biographie muss jedoch ebenso wenig vorausgesehen werden wir etwaige Fortschritte in der Medizin.

Die Aussage „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wollen, enthalte für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung. Die Konkretisierung könne durch die Benennung bestimmte ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen.

Im vorliegenden Fall stellte der BGH fest, dass die Vollmacht mit einer „zum Tode führenden Krankheit“ die vorliegende Behandlungssituation nicht abbilde. Die vier Fallgruppen aus der Patientenverfügung seien nicht einschlägig. Insbesondere der „schwere Dauerschaden des Gehirns“ sei so unpräzise, dass er keinen Rückschluss auf einen gegen die künstliche Ernährung gerichteten Willen der Patientin zulasse.

Da keine Anhaltspunkte dafür erkennbar seien, dass die bevollmächtigte Tochter den Willen der Patientin nicht respektiere, sei die Anordnung einer Kontrollbetreuung nicht gerechtfertigt.

Folgen für die Praxis:

Eine Betreuungsvollmacht und eine Patientenverfügung sind nur bindend, wenn sie den Anforderungen des § 1904 BGB einerseits und des § 1901 a BGB andererseits genügen.

Die Vollmacht darf sich daher nicht auf eine Inbezugnahme des Gesetzes beschränken, sondern muss hinreichend bestimmt die im Gesetz genannten Maßnahmen aufführen sowie die Ermächtigung, diese vornehmen zu lassen oder zu unterlassen. Deutlich werden muss auch, dass die Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann.

Die Patientenverfügung muss konkrete Behandlungsentscheidungen für konkrete Behandlungs- und Krankheitssituationen vorsehen, wobei die Konkretisierung auch durch die Aufstellung von Regelbeispielkatalogen für die gewünschten oder unerwünschten ärztlichen Maßnahmen bei bestimmten Krankheiten oder in bestimmten Behandlungssituationen erfolgen kann.

Links:

Zur Pressemitteilung: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&pm_nummer=0136/16
Zum Volltext: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=75565&pos=0&anz=1