Wenn die Polizei vor der Tür steht: 9 Goldene Regeln für den Arzt

Von Dr. Lars Blady (November 2017)

Ding dong! Noch vor dem ersten Patienten stehen heute bei Dr. Seltsam die beiden netten Herren der Polizei vor der Tür seiner Arztpraxis. Sie machen nicht viel Federlesen und kommen schnell zur Sache: Abrechnungsbetrug! So lautet der Vorwurf gegen den Arzt, der allerdings noch auf dem Weg zur Praxis ist. Häufig wird dem Arzt auch ein Behandlungsfehler mit der Folge einer fahrlässigen Körperverletzung oder Tötung vorgeworfen oder ein Korruptionstatbestand. Dieser Beitrag fokussiert jedoch auf den Abrechnungsbetrug.

Sind die Mitarbeiter in einer solchen Situation nicht instruiert worden, wie sie sich verhalten sollten, können sich die beiden Herren ungestört umschauen und beispielsweise Erkenntnisse über die Abrechnungspraxis erhalten und Akten von konkreten Patienten sichten – mit möglicherweise gravierenden Folgen für den Arzt. Selbst wenn die Polizeibeamten nicht früh morgens, sondern mitten im „laufenden Betrieb“ erscheint, wird auch dann nicht immer der Arzt, sondern ein Mitarbeiter der erste Ansprechpartner sein.

Dies führt zur Goldenen Regel Nr. 1:

Verhaltensmaßregeln für Mitarbeiter besprechen – vorher

In einer Teamsitzung sollte Dr. Seltsam das Thema ansprechen und den Mitarbeitern klar machen, wie sie sich in einer solchen Ausnahmesituation am besten verhalten. Dabei sollte er durchaus die Ideen seiner Teammitglieder hierzu berücksichtigen, da diese am besten wissen, wer von ihnen in einem solchen Fall die besten Nerven hat und – bei Abwesenheit des Arztes – als „Sprecher“ fungiert. Wichtig dabei ist, dass die Regeln kurz und knapp dargestellt werden und damit rasch erfassbar sind. Ausufernde Erläuterungen führen eher zur Unklarheit. Bei einer späteren Teamsitzung kann durchaus auch mit einem Rollenspiel getestet werden, ob die Mitarbeiter die Verhaltensmaßregeln beherrschen.

Den Mitarbeitern sollte zumindest klargemacht werden, dass sie die Herren möglichst so lange vertrösten sollten, bis der Arzt wieder an Bord ist. Dieser sollte z. B. auch seine Ehefrau informieren, da nicht selten auch im Privathaus des Arztes eine Durchsuchung ansteht und die Ehefrau entsprechend instruiert werden kann.

Goldene Regel Nr. 2: 

Ruhe bewahren!

Was sich wie ein verstaubter Slogan aus dem 19. Jahrhundert anhört („Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!“), sollte der Arzt trotzdem beherzigen. Denn eine Durchsuchung in den Praxisräumen stellt für den Arzt und seine Mitarbeiter immer eine Ausnahmesituation dar, in der mitunter sämtliche Vorsätze vergessen werden und die Gefahr besteht, dass – wenn auch unbewusst – Informationen mitgeteilt werden, die dem Arzt später zum Nachteil gereichen können. Versucht Dr. Seltsam im ersten Affekt sich z. B. herauszureden und betont, um die Abrechnung kümmere sich immer eine bestimmte Mitarbeiterin, so droht Gefahr. Denn nun werden sich die netten Herren von der Polizei dieser Mitarbeiterin zuwenden, die vor Aufregung vielleicht sämtliche Schweige-Vorsätze vergisst und auf die Befragungen detailliert antwortet. Die Folgen können gravierend sein, da die Aussagen gegen den Arzt verwendet werden können.

Dies leitet über zur Goldenen Regel Nr. 3:

Rechtsanwalt informieren

Für jeden Arzt und für jedes Praxisteam ist ein Besuch von Staatsanwälten oder Polizeibeamten zur Durchsuchung der Praxisräume eine Ausnahmesituation. Auch bei ansonsten souveränem Agieren besteht hier die Gefahr, unüberlegt zu handeln und sich damit – oft ohne es zu bemerken – in die Sache „hineinzureiten“. Kontaktieren Sie daher sobald wie möglich Ihren Rechtsanwalt, damit er Beistand leistet und darauf achtet, dass Ihre Rechte gewahrt werden. Zudem kann der Rechtsanwalt nach seinem Erscheinen die Kommunikation mit dem Ermittlungsbeamten übernehmen, was dem Arzt dabei hilft, den Blick beispielsweise auf die Abrechnungsunterlagen und Patientenakten zu konzentrieren, die beschlagnahmt werden. Ist der Rechtsanwalt nicht sogleich vor Ort, gilt umsomehr die

Goldene Regel Nr. 4:

Keine Angaben zur Sache machen!

Ärzte sind es gewohnt, Patienten etwas zu erklären. Dieser „Berufskrankheit“ sollten sie gegenüber Staatsanwälten oder der Polizei jedoch nicht nachgeben. Selbst wenn der Tatvorwurf absolut zu Unrecht erhoben wird und förmlich nach einer Klarstellung schreit, sollte der Arzt keine Erklärungsversuche machen, sondern den Tatvorwurf schlicht zur Kenntnis nehmen oder pauschal leugnen – ohne auf Details einzugehen oder diesbezügliche Fragen zu beantworten. Nicht selten machen sich die Beamten – manchmal auch nach der Durchsuchung – Gesprächsnotizen, die im weiteren Verlauf des Verfahrens negative Folgen für den Arzt haben können. Es besteht keine gesetzliche Pflicht für den Arzt, sich zu den erhobenen Vorwürfen zu äußern!

Goldene Regel Nr. 5:

Durchsuchungsbeschluss aushändigen lassen!

Ist die erste Aufregung vorbei und hat Dr. Seltsam ruhig und besonnen reagiert, so bleibt nun Zeit, nach dem richterlichen Durchsuchungsbeschluss (§§ 105 Abs. 1 S. 1, 98 StPO) zu fragen. Lassen Sie sich den Beschluss in Kopie aushändigen! Liegt ein Beschluss nicht vor, weil die Staatsanwaltschaft nach § 105 Abs. 1 S. 1 StPO „Gefahr im Verzug“ sieht, sollte der Arzt diesen Umstand in einem Vermerk schriftlich festhalten und das Gehörte von „Ohrenzeugen“ bestätigen lassen. Dies ist wichtig, denn später könnte sich herausstellen, dass tatsächlich keine „Gefahr im Verzug“ vorlag. Das Bundesverfassungsgericht legt den Begriff „Gefahr im Verzug“ in ständiger Rechtsprechung eng aus, da mit einer Durchsuchung  in einen durch Art. 13 GG geschützten Bereich eingegriffen wird und vor diesem Eingriff grundsätzlich ein richterlicher Beschluss eingeholt werden muss (zuletzt Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16.06.2015, Az. 2 BvR 2718/10, Rz. 69).

Stellt sich später heraus, dass zu Unrecht eine „Gefahr im Verzug“ angenommen wurde, können die in einer Durchsuchung sichergestellten Beweise wie z. B. Abrechnungsunterlagen einem Verwertungsverbot unterfallen, d. h. sie dürfen unter Umständen nicht mehr zu Lasten von Dr. Seltsam verwendet werden. Wie der BGH festgestellt hat, gilt ein solches Beweisverwertungsverbot nicht generell, vielmehr ist diese Frage nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.04.2007, Az. 5 StR 546/06).

Goldene Regel Nr. 6:

Durchsuchung nicht „freiwillig“ zustimmen

Es gibt Fälle, in denen der Staatsanwalt oder der Polizeibeamte sich im Vorfeld erkundigt, ob der Arzt freiwillig bereit ist, eine Durchsuchung seiner Praxisräume zu gestatten. Stimmen Sie diesem Ansinnen nicht zu! Dies hat einen taktischen Grund: Wird kurze Zeit darauf trotzdem eine Durchsuchung durchgeführt, wird sie dies – nicht zuletzt durch die Ablehnung des Arztes – möglicherweise mit „Gefahr im Verzug“ begründen. Hier kann im späteren Verlauf der rechtliche Hebel angesetzt werden mit der möglichen Folge, dass keine „Gefahr im Verzug“ vorlag und die gesammelten Beweise u. U. nicht verwertet werden dürfen. Beantragt die Staatsanwaltschaft zunächst einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss, kann der Arzt die verbleibende Zeit nutzen, seine Unterlagen zu ordnen. Freilich dürfen hierbei keine Beweismittel vernichtet werden.

Goldene Regel Nr. 7:

Schriftlich dokumentieren, was genau beschlagnahmt wurde

Nach Beendigung der Maßnahme ist dem Betroffenen auf Verlangen eine schriftliche Mitteilung über den Grund der Durchsuchung zu machen und ein Verzeichnis über die beschlagnahmten Gegenstände zu übergeben (§ 107 S. 2 StPO). Der Arzt sollte somit nicht vergessen, dieses „Verlangen“ auch zu äußern – und zwar eine vom ermittelnden Beamten unterzeichnete vollständige Liste. Trotz aller Aufregung sollte der Arzt oder eine zuverlässige Mitarbeiterin eigene Aufzeichnungen über die beschlagnahmten Patientenakten, Abrechnungsunterlagen etc. fertigen.

Achten sollte der Arzt zudem darauf, dass die ermittelnden Beamten nicht mehr mitnehmen erforderlich: Geht es um Abrechnungsbetrug im laufenden Jahr, sollten die Behandlungsunterlagen aus den vorherigen Jahren nicht mitgenommen werden.

Dies führt zur Goldenen Regel Nr. 8

Beschlagnahmte Unterlagen kopieren

Werden Unterlagen beschlagnahmt, sollte der Arzt den ermittelnden Staatsanwalt darauf hinweisen, dass er Kopien beispielsweise der Patientenakten benötigt, um seine Arztpraxis weiterhin „am Laufen“ halten zu können ­- ohne die Krankenakten drohen dem Arzt empfindliche wirtschaftliche Einbußen! Wird die Anfertigung von Kopien versäumt, gleicht es mitunter einem Spießrutenlauf, um im Zuständigkeitsdschungel die entsprechenden Akten zeitnah zurückzuerhalten. Durch eine sofortige Anfertigung von Kopien vermeiden Sie dieses Hinterherlaufen!

Goldene Regel Nr. 9

Trotz allem Ärger: Kooperieren Sie!

Die Vorwürfe entbehren jeder Grundlage, die Beamten sind anmaßend und unfreundlich, und Dr. Seltsam kocht vor Wut: Trotz allem gilt es, zu kooperieren!  Und dies aus zwei Gründen: Zum einen ist der Arzt per Gesetz gehalten, die Durchsuchung zu dulden. Sie kann sogar zwangsweise durchgesetzt werden und der „Störer“ für die Dauer der Durchsuchung sogar vorläufig festgenommen werden (§ 164 StPO). Zum anderen sollte der Arzt kooperieren, denn lautstarker Widerstand schreckt nicht nur die Patieten auf, er ist auch taktisch von Nachteil. Er könnte die Beamten nämlich dazu verleiten, noch etwas „genauer“ zu suchen. Und gehen ihnen dabei sog. „Zufallsfunde“ ins Netz, können auch diese mitunter gegen den Arzt verwendet werden (§ 108 StPO).

Praxishinweis:

Beachten Sie, dass nunmehr Zeugen verpflichtet sind, einer Ladung bei der Polizei nachzukommen. Dies ergibt sich durch die am 24.08.2017 in Kraft getretene Änderung von § 163 Abs. 3 StPO. Vor dieser Änderung mussten Zeugen nur bei einer Ladung durch die Staatsanwaltschaft (§ 161a Abs. 1 S. 1 StPO) oder durch das Gericht (§ 48 Abs. 1 StPO) erscheinen. Bisher mussten Zeugen auf Vernehmungsersuchen der Polizei nicht einmal reagieren. Beim Vorwurf des Abrechnungsbetrugs kann dies insbesondere Mitarbeiter oder den Ehepartner des beschuldigten Arztes betreffen. Tritt der Polizeibeamte etwa beim Praxisteam allzu forsch mit Fragen auf, können die Mitarbeiter gemäß § 163 Abs. 4 Alt. 3 StPO einen Antrag auf Beiordnung eines Zeugenbeistands stellen. Dieser Antrag muss von einem Staatsanwalt entschieden werden. Ist dieser nicht vor Ort, schafft das Ansinnen zeitliche Luft und zeigt den Polizeibeamten, dass ihnen bei dieser Durchsuchung Grenzen gesetzt sind.